Folge #19 | Subkulturelle Online-Sphären

Shownotes

Weiterführende Links

Jakob Guhl beim ISD: https://isdgermany.org/team/jakob-guhl/
Generation Z & Das Salafistische Online-Ökosystem Executive Summary: https://www.isdglobal.org/isd-publications/generation-z-das-salafistische-online-okosystem-executive-summary/
Digital Dispatches, mehrsprachiger Blog des ISD: https://www.isdglobal.org/digital_dispatches/_Betonter Text_

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Folge #19 | Subkulturelle Online-Sphären

Wie islamistischer Content in den analogen Raum gerät

Staffel 3 von KN: IX talks in 2023 beschäftigt sich mit der Verschränkung von Online- und Offline-Welten. In dieser ersten Folge der neuen Staffel von KN:IX talks sprechen wir mit Jakob Guhl vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) über kleinere Social Media Plattformen und wie sie zu Hot Spots für Extremist*innen aus dem islamistischen Spektrum werden, die sie nutzen, um Meinungen zu beeinflussen. Dabei entdecken wir ungewöhnliche Bündnisse, subkulturelle Memes mit Mainstream-Appeal und gehen der Instrumentalisierung aktueller Ereignisse nach.

Staffel 3 von KN: Im Podcast zu Gast

Staffel 3 von KN: Jakob Guhl ist Senior Manager Policy and Research beim Institute for Strategic Dialogue in London. Auch bekannt als ISD, wo er innerhalb der Forschungsabteilung Digital arbeitet. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus, islamistischer Extremismus, Hassrede, Desinformation und Verschwörungstheorien. Forschung und Artikel von Jakob wurden unter anderem bereits in der ZEIT, The Guardian, CNN oder auch Politico, in der Zeitschrift für Deradikalisierung, Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit und der taz veröffentlicht.

Staffel 3 von KN: Transkript zur Folge

Staffel 3 von KN: (O-Ton, Musik im Hintergrund)

Jakob Guhl: Und da sehen wir eben auch wie diese Inhalte, die online platziert werden, durchaus das Potenzial haben - oder auch eine Wut und ein Potenzial widerspiegeln, das sich dann auch im analogen Raum entladen kann.

Jakob Guhl: (Musik im Hintergrund)

(Musik Intro KN: IX talks)

Charlotte Leikert (Intro KN: IX Talks): Herzlich willkommen zu KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Prävention und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die in dem Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten: Islamismusprävention, Demokratieförderung und politische Bildung. Klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal. KN:IX talks: Überall da, wo es Podcasts gibt.

Alexandra Korn (KN: IX): Herzlich willkommen zur ersten Folge der dritten Staffel KN:IX talks. In den nächsten und letzten drei Folgen dieses Jahres tauchen wir ein in die Online-Sphäre. Während unsere Kolleg*innen der BAG dabei mit modus zad die großen Plattformen Instagram und TikTok genauer unter die Lupe nehmen, und ufuq.de sich mit der BAG gegen Hass im Netz über phänomenübergreifender Online-Prävention unterhält, widmen wir uns bei Violence Prevention Network den vielleicht noch etwas weniger bekannten Orten, an denen sich extremistische Akteur*innen online aufhalten. Unser Gast in dieser Episode ist Jakob Guhl. Jakob Guhl ist Senior Manager Policy and Research beim Institute for Strategic Dialogue in London. Auch bekannt als ISD, wo er innerhalb der Forschungsabteilung Digital arbeitet. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus, islamistischer Extremismus, Hassrede, Desinformation und Verschwörungstheorien. Forschung und Artikel von Jakob wurden unter anderem bereits in der ZEIT, The Guardian, CNN oder auch Politico, in der Zeitschrift für Deradikalisierung, Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit und der taz veröffentlicht.

Alexandra Korn (KN: Jakob, die größten und bekanntesten Social Media Plattformen wie Instagram und TikTok, aber auch Facebook oder YouTube, moderieren und löschen ja terroristische Inhalte zu einem gewissen Maß oder haben das zumindest in der Vergangenheit getan. Auf welche Onlineplattformen weichen extremistische Akteure dann aus? Und was passiert dort im Vergleich zu den bekannteren Plattformen? Sowohl in Bezug auf die extremistischen Inhalte als auch auf den Umgang damit?

Jakob Guhl: Ja, in der Tat haben die großen Plattformen wie Facebook, YouTube und bis vor ungefähr einem Jahr, Twitter eine Zeit lang deutlich mehr getan, um terroristische Inhalte, illegale Inhalte je nach rechtlichem Kontext, und zum Teil auch Hatespeech, zu löschen. Dadurch sind viele extremistische Akteure sowohl im islamistisch-extremistischen Spektrum als auch im rechtsextremistischen Spektrum stärker auf alternative Plattformen ausgewichen. Diese Alternativplattformen wie zum Beispiel Telegram, aber auch dann weitere Messenger wie Tamtam, sehr beliebt in der islamistisch-extremistischen Szene, aber dann auch Plattformen wie Odysee, wie Gab wie BitChute zu, die häufig das Pendant sind zu bestimmten größeren Plattformen. Und dann gibt es eine alternative Videoplattform, eine Alternative für Twitter. Die moderieren Inhalte deutlich seltener. Das hat zum Teil ideologische Gründe. Das können Plattformen sein, die also tatsächlich extremistische Inhalte aktiv fördern möchten. Aber es kann auch eher philosophische Überzeugungen haben. Also es gibt gerade bei den Plattformen, die in den USA sitzen, solche, die stark libertäre Ansichten haben zu Themen wie Meinungsfreiheit, die also dem ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung sich verpflichtet fühlen und daher Inhalte kaum moderieren. Auch wenn es Dinge sind, die beispielsweise in Deutschland strafrechtlich relevant wären. Und dann gibt es noch Plattformen, quasi als Drittes, wo es durchaus den Willen gibt, etwas gegen extremistische Inhalte zu tun, aber häufig nicht die Kapazitäten. Die zweckentfremdet wurden, die von Usern quasi in Teilen gekapert wurden, wie beispielsweise Discord, also eine Plattform, die ursprünglich für Videospiele, zur Koordination innerhalb von Videospielen gedacht war, aber auf der sich auch sehr sehr viele extremistische Subkulturen phänomenübergreifend, also von Rechtsextremismus bis zum islamistischen Extremismus und dann zum Teil auch Mischkulturen aus beidem entwickelt haben.

Alexandra Korn (KN: IX): Und wie können wir da den Überblick über bedenkliche Inhalte behalten? Also wir als Vertreter*innen der offenen Gesellschaft, sind wir da nicht immer irgendwie ein Schritt hinterher?

Jakob Guhl: Wir sind wahrscheinlich immer ein Schritt hinterher. Das glaube ich sicherlich auch. Und das gilt noch stärker für beispielsweise universitäre Forscher, also Leute, die erst mal ein Jahr lang mit der forschungsethischen Kommission abklären müssen, ob sie sich einen Account zulegen dürfen, wo sie eine Identität vortäuschen müssen. Forschungsethisch hängen wir da einfach hinterher. Das ist jaim Grunde auch eine Stärke, dass man nicht Dinge einfach sofort machen kann, sondern da gibt es Protokolle und Prozesse und Richtlinien. Aber das führt natürlich dazu, dass gerade die universitäre Forschung etwas hinterherhinkt, was wirklich die neuesten und aktuellen Trends angeht. Es ist für uns in der Zivilgesellschaft oder auch im außeruniversitären Forschungssektor etwas einfacher, weil wir eben diese doch relativ umständlichen Prozesse etwas verkürzen können und natürlich auch unsere Forschung unmittelbarer veröffentlicht werden kann. Also anders als jetzt bei Peer Reviewed Journals, die natürlich auch ihren Zweck haben. Aber da wird dann erst mal der Review Prozess dauert ein halbes Jahr, dann werden vielleicht noch mal Änderungen verlangt, dann dauert es noch mal ein halbes Jahr. Bis dahin sind die die Trends, die man möglicherweise dokumentieren will, schon lange vorbeigezogen. Für uns als ISD, aber auch für andere zivilgesellschaftliche Organisationen und Forschungsinstitutionen außerhalb der Universitäten gibt es verschiedene Dinge, die wir tun können. Wir können zum einen mit Computerwissenschaftlern zusammenarbeiten, mit denen wir über die APIs, also die Programmierschnittstellen, die ja zum Teil auch auf Alternativplattformen durchaus existieren, relativ großflächig Daten abgreifen können. Also das hängt sehr, sehr stark von der speziellen Plattform ab. Also auf Telegram ist es beispielsweise relativ umfassend möglich, Daten aus öffentlichen Kanälen abzugreifen. Auf anderen Plattformen ist das entweder aus technischen oder auch zum Teil aus rechtlichen Gründen, deutlich schwieriger. Es kann passieren, dass man dadurch die die Terms of Service der Plattform bricht und sich dadurch dem Risiko aussetzen, verklagt zu werden. Daneben gibt es aber natürlich auch die Möglichkeit, tatsächlich durch Monitoring ethografisches, digitales, ethnografisches Monitoring zu verfolgen, was in diesen, diesen Orten digital vor sich geht. Und das ist auch ganz wichtig für das Verständnis dieser, dieser Kulturen, dieser Bewegungen. Die quantitativen Daten, die helfen einem natürlich sehr weiter und dadurch kann man dann wirklich die Trends einschätzen: Wie groß ist ein bestimmtes Phänomen? Aber daneben muss man natürlich auch die Diskurse durchblicken. Worüber wird hier geredet? Was sind die Themen, die bewegen? Was sind die verschiedenen Memes, Codes, Anspielungen und Referenzen? Und dadurch können wir dann auch beobachten, was auf den verschiedenen Plattformen zugeht, die etwas stärker von der Öffentlichkeit versteckt sind.

Alexandra Korn (KN: IX): Lass uns jetzt einmal ganz konkret auf die Inhalte eingehen, auf die ihr so gestoßen seid bei eurer Forschung. Was ist daran prägend für die Gegenwart?

Jakob Guhl: Genau. Wir haben im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts vor zwei Jahren, also 2021, und verschiedene salafistische Akteure auf Social Media Plattformen angesehen. Also wir waren interessiert: Was machen englischsprachige, arabischsprachige und deutschsprachige salafistische Akteure auf Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter? Damals noch Twitter, YouTube, Telegram, TikTok und auch verschiedene auf verschiedenen Websites. Also auch wenn die sozialen Medien natürlich eine große Rolle spielen, sollte man auch nicht aus dem Auge verlieren, dass auch Webseiten weiterhin eine ganz wichtige Rolle spielen. Wir haben uns in dem Kontext dann tatsächlich sehr, sehr viele Inhalte heruntergeladen. Wir hatten eine Liste an 1500 Accounts von arabisch, deutsch und englischsprachigen Salafist*innen, davon etwas unter 500 deutschsprachig und haben uns dann über die verschiedenen Programmierschnittstellen der Plattform knapp 3 Millionen Posts heruntergeladen und das dann komplementiert mit einer auch an der qualitativen Analyse der verschiedenen digitalen Communitys. Und haben dann uns angesehen: was wird hier diskutiert? Auch wie wird es diskutiert? Was sind die Formate, die benutzt werden? Und haben dann festgestellt, dass und das ist ganz interessant, denke ich, dass sehr, sehr viele der salafistischen Inhalte stark auf Identitätsbildung und praktische religiöse Anleitungen ausgerichtet sind. Also es geht gar nicht immer unmittelbar um eindeutig politische Inhalte. Es geht definitiv nicht die ganze Zeit um politische und gewalttätige Konflikte. Es ist auch ganz wichtig, darauf hinzuweisen, weil ja auch in der Medienberichterstattung manchmal die Begriffe Salafismus und extremistische Gewalt und Terrorismus häufig in einem Satz verwendet werden. Aber für dieses Publikum, für die Communities, die sich diese Inhalte ansehen, wird sehr, sehr viel Material entwickelt, wo generelle religiöse Konzepte erklärt werden, wie erklärt wird, wie ein, wie ein Muslim sich zu verhalten hat. Ganz praktische Fragen des Lebens wie: Wie bete ich, wo darf ich arbeiten? Welche Produkte darf ich benutzen? Welche Aktivitäten sind mir erlaubt? Also ganz alltägliche Fragen, an denen der Mensch sein Leben ausrichten möchte. Die werden hier sehr knapp, einfach und eindeutig beantwortet. Darf ich im Supermarkt arbeiten? Darf ich Fortnite spielen? Kleiner Spoiler: Lieber nicht, weil, das ist im Grunde eine Art von Vielgötterei aus der Perspektive - durch diese Gestalten, die da auftauchen. Das ist ein ganz großes Thema. Daneben sehen wir natürlich auch politische Inhalte. Bei unserer Studie damals sind wir vor allen Dingen auf Inhalte zur Unterdrückung der Uiguren, also dem Genozid oder der Masseninhaftierung der Uiguren in den Xinjiang im Westen Chinas gestoßen. Da wird ähnlich wie jetzt auch im Nahostkonflikt die Doppelmoral beklagt, ein fehlendes Eingreifen, ein fehlendes Interesse der nichtmuslimischen Welt an der Unterdrückung der Muslime. Wir haben auch damals, und das sehen wir natürlich jetzt auch aktuell noch stärker, sehr viele Inhalte zum Nahostkonflikt gefunden. Auch hier wieder: natürlich wird es eingebettet in eine breitere Erzählung eines Krieges gegen den Islam, der auch aus dieser Sicht, nicht nur vom Westen geführt wird. Aber ich hatte China erwähnt, dass es das ist ein breiterer Krieg gegen den Islam, nicht nur vom Westen. Also es wird viel über internationale Konflikte berichtet, das dann aber eben auch verbunden mit den Diskriminierungserfahrungen und Rassismuserfahrungen, die Muslime selber machen. In Deutschland, aber natürlich auch in anderen westlichen Staaten mit muslimischen Communities - also, wo die Erfahrung mit antimuslimischen Rassismus, Diskriminierungserfahrungen, strukturelle Diskriminierung verbunden werden mit dem Narrativ des breiteren Kriegs gegen den Islam und dadurch quasi die die eigene Identität auch verbunden wird mit diesem breiteren Narrativ.

Alexandra Korn (KN: IX): Sind das Nischen hafte Mims oder werden darin auch mainstream popkulturelle Phänomene aufgegriffen?

Jakob Guhl: Was hier ganz spannend zu sehen ist: dass diese Akteure eine gewisse ideologische Flexibilität zu haben scheinen, also dass auch von diesen Online-Subkulturen, die dann zum Teil Unterstützung für den IS aussprechen oder zum Teil Unterstützung für andere Verstrickte, sehr extreme salafistische Interpretationen des Islam vertreten. Dass die trotzdem wenig Problem damit zu haben scheinen, das auch mit Anspielungen auf Popkultur, Videospiele, zu verbinden. Also wir finden immer wieder Remixe von von Lil Uzi Vert, also ein amerikanischer Rapper oder elektronischer Musik - also Dinge, die man eigentlich aus einer strikt salafistischen Perspektive abzulehnen hätte, die dann aber quasi eingebettet werden in Kriegsberichterstattung. Also Bilder, in denen man sieht, wie die Taliban Kabul zurückerobern und dass dann de facto gefeiert wird mit westlicher Musik, mit Memes also, wo dann die Feinde der Taliban verhöhnt werden. Der Sinn dessen ist natürlich auch, dass so was teilbar ist, das ist irgendwie catchy, das bleibt hängen. Das ist spannender als nur Bilder der Taliban und dadurch verbreitet sich sowas natürlich. Oder kann sich so etwas auch sehr gut verbreiten auf Plattformen wie TikTok, wo es natürlich auch darauf angelegt ist, dass bestimmte Sounds geteilt werden, dass kurze, eingängige Videos geteilt werden. Und da sind diese Referenzen und das Heranziehen von, von Kultur, von Musik, von der bestimmten visuellen Kultur ganz wichtig.

Alexandra Korn (KN: IX): Habt ihr im Monitoring auch geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen können?

Jakob Guhl: Ja, definitiv. Es gibt in vielen dieser Räume tatsächlich eine Geschlechtertrennung. Dadurch kann man natürlich nicht ausschließen, dass Leute sich jeweils als Mann oder Frau ausgeben. Es ist in diesen Räumen dann ja auch sehr, sehr streng binär gedacht. Aber sowohl auf Plattformen wie Discord als auch beispielsweise auf Telegram gibt es Communities, die ganz speziell auf Frauen zugeschnitten sind und wo dann auch häufig ein Authentifizierungssprozess stattfindet. Also wo man eben beantworten muss, welches Geschlecht hast du zum Teil auch noch ein Stimmtest machen muss, um das beweisen zu können und wo dann auch Teil der Regeln ist, dass man rausgeworfen wird, wenn einem nachgewiesen werden kann, dass man da gelogen hat. Was das Verhalten angeht... Also da werden dann natürlich schon auch andere Inhalte diskutiert. Also leider guckt man ja, wenn die Diskussion um Gender und Extremismus geht, häufig nur auf die Frage: Was machen Frauen in extremistischen Bewegungen? Aber ganz spannend sind ja auch die Männlichkeitsbilder, die da vorherrschen. Das Hervorheben des Kriegerischen, des militärischen Unterstützer, des Versorgers und wo wir gerade in diesen Subkulturen eben auch ganz, ganz toxische Männlichkeitsbilder sehen und dann eben Personen gefeiert werden, die mehrere Ehefrauen haben, die irgendwie ganz problematische Dinge zu Frauen gesagt haben, die die Rechte von Frauen beschneiden wollen. Also die Taliban sind natürlich unter Rechtsextremen und islamistischen Extremisten besonders beliebt, weil sie eben, statt sich dem Vormarsch des Woke-n zu ergeben oder dem Vormarsch des Feminismus zu ergeben, einfach gesagt haben: "Nein, wir, wir drehen die Uhr einfach radikal zurück und uns ist egal, was ihr über uns denkt. Wir verbieten Frauen den Zugang zu Universitäten. Und ihr könnt nichts dagegen machen." Das gilt unter solchen Communitys dann als sehr "based", also als sehr cool, als etwas, womit man sich von der Mainstreamkultur absetzt und doch so eine rebellische Pose einnimmt.

Alexandra Korn (KN: IX): Stoßt ihr während eures Monitorings auch bereits auf KI-generierte Inhalte?

Jakob Guhl: Wir stoßen definitiv schon auf KI-generierte Inhalte. Es ist sehr schwierig einzuschätzen, wie groß der Anteil davon ist. Aber gerade auch im Kontext des aktuellen Nahostkonflikts. Also wir nehmen das ja jetzt gerade auf am 1. November 2023, wenige Wochen nach nach den Hamas-nschlägen vom 7. Oktober. Da sehen wir gerade im Kontext des Nahostkonflikts einiges an KI- generierten Bildern. Es muss gar nicht mal unbedingt speziell aus einer islamistisch-extremistischen Ecke kommen. Es können, es werden einfach wahnsinnig viele Falschinformationen verbreitet. Es werden Inhalte aus vorherigen Konflikten wie beispielsweise aus Syrien oder der Ukraine verbreitet. Zusätzlich noch zu den ganzen Bildern und Videoaufnahmen, die echt sind und authentisch sind. Also es ist einfach auch ein sehr großes Informationschaos. Daher kann ich an diesem Punkt doch nicht so gut einschätzen, wie hoch der Anteil der KI-generierten Inhalte ist, aber dass die bereits verbreitet werden und dass es ein großes Potenzial auch darstellt für Akteure, die versuchen, solche Krisen für sich zu instrumentalisieren. Das sehen wir jetzt auf jeden Fall schon.

Alexandra Korn (KN: IX): Was bedeutet das jetzt alles für den Offline-Kontext und ganz konkret für die offline Präventionsarbeit?

Jakob Guhl: Ja, auf jeden Fall. Das sind natürlich keine reinen Onlinephänomene. Der digitale Bereich spielt eine große Rolle, wie bei den meisten von uns im Leben mittlerweile wahrscheinlich. Aber wir haben ja auch jetzt gerade erst in den letzten Wochen durch die Demonstrationen in verschiedenen deutschen Großstädten, die zum Teil von Akteuren wie Muslimen Interaktiv organisiert wurden, also einer Gruppe, die online sehr aktiv ist, auch auf Plattformen wie TikTok und der eine ideologische Nähe nachgesagt wird, zu Hizb-ut-Tahrir. Hizb-ut-Tahrir selber wurde ja 2003 verboten, in Deutschland, existiert aber eben zumindest ideologisch durch verschiedene Organisationen indirekt fort und ist eben eine Organisation, die sich jetzt gerade aktuell sehr versucht, den aktuellen Nahostkonflikt und die Wut und die Angst, die existiert, durch die Bombardierung Gazas in Teilen muslimischer Communities zu Nutzen zu machen. Das sind dann noch mal getrennte Proteste von den größeren Pro-Palästina-Demonstrationen. Aber sowohl in London, aber auch in Deutschland haben wir jetzt verschiedene Proteste gesehen, die von solchen Akteuren angeführt wurden. Da sieht man dann interessanterweise auch weniger Palästinaflaggen und mehr schwarze Schahada Flaggen, also die schwarze Flaggen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, die auch von extremistischen Organisationen eben seit den Neunzigern verwendet werden. Und da verbinden sich dann natürlich auch, dieser Online Content, der eben häufig eher darauf auszielt: "Guckt euch an, was mit den den Geschwistern in Palästina passiert und wie der Westen wegschaut und wie uns verboten wird, zum Teil darüber noch überhaupt noch zu demonstrieren." Das wird verbunden mit diesem breiteren Narrativ von Gruppen wie Hizb-ut-Tahrir: "Wir brauchen ein Kalifat, das erst errichtet werden muss, aber dann eben auch militärisch dazu in der Lage ist zu intervenieren, wenn Muslime international unterdrückt werden, ob in Xinjiang, ob in Palästina, ob in Myanmar, also wo auch immer Muslime Kriegsverbrechen und Ähnlichem ausgesetzt sind, da könnte so ein Kalifat dann intervenieren." Und da sehen wir eben auch, wie diese Inhalte, die, die online platziert werden, durchaus das Potenzial haben oder auch eine Wut und ein Potenzial widerspiegeln, das sich dann auch im analogen Raum entladen kann. Daher ist es wichtig für Leute, die in der Präventionsarbeit arbeiten, wichtig für Leute, die in der Ausstiegsarbeit arbeiten, die Diskurse zu kennen, die online passieren, weil die entwickeln sich sehr schnell - zu wissen, was sind die Themen, also von antimuslimischem Rassismus, Blasphemie, den Diskussionen um Säkularismus und Glaubensfreiheit, den verschiedenen internationalen Konflikten, die sehr stark bewegen, und auch quasi die Strategien zu verstehen, mit denen Leute motiviert werden sollen, dann, sich solchen extremistischen Akteuren die Muslim Interaktiv anzuschließen.

Alexandra Korn (KN: IX): Du hast ja gerade mehrere Gruppierungen aufgezählt, die sich zum Teil auch eigentlich feindlich gegenüberstehen, aber jetzt zusammenarbeiten...?

Jakob Guhl: Das sind meiner Ansicht nach, auch noch mal zwei verschiedene Sachen. Es gibt zum einen eine gewisse ideologische Flexibilität online. Also, dass Gruppen, Akteure, Individuen einfach bestimmten Akteuren anhängen, obwohl die ideologische Widersprüche haben. Also, dass man Dinge miteinander vermischt, die eigentlich aus einer strikt ideologischen Perspektive keinen Sinn machen würden. Das ist ein Phänomen. Was wir dann, und das dann auch sehr stark offline sehen, ist, dass Akteure punktuell zusammenarbeiten, wenn es gegen gemeinsame Feinde geht, wenn es gegen gemeinsame Feindbilder geht. Das sieht man auch bei rechtsextremen Akteuren ganz stark. Dass da eine Zeit lang die eher muslimfeindlichen Akteure mit den stärker neonazistisch-antisemitischen Akteuren punktuell zusammenarbeiten können, wenn es um beispielsweise, die Migrationskrise, ging. Das war was, wo sie eine gewisse Überschneidung hatten, und da können sie zusammenarbeiten, dass das in den Jahren seitdem sind die Widersprüche zwischen diesen Gruppen immer stärker hervorgetreten. Ein bisschen so ähnlich würde ich das auch jetzt im Bereich des islamistischen Extremismus einordnen. Also ja, wir haben da definitiv ganz unterschiedliche theologische Vorstellungen, politische Vorstellungen und Allianzen. Aber wenn es um gemeinsame Feindbilder geht, und im Nahostkonflikt ist das Feindbild da relativ eindeutig und eben ein geteiltes, dann ist es möglich, da eine Zeit lang auch in dieselbe Richtung zu marschieren. Was ich dazu allerdings dann auch vielleicht noch sagen würde, ist, dass wir auch aktuell natürlich schon innerhalb dieser ganzen, sehr, ja sehr, sehr breiten Bubble des islamistischen Extremismus, auch international, auch jetzt schon, große Unterschiede sehen, wie die Ereignisse bewertet und interpretiert werden. Also klar, es sind irgendwie alle wichtigen gewalttätigen, extremistischen islamistischen Organisationen, die wir jetzt beobachtet haben, haben die Anschläge vom 7. Oktober erst mal verteidigt und die dann die Bombardierung Gazas seitdem durch Israel verurteilt. Aber beispielsweise, ob sie sich auf die Hamas bezogen haben, ist ganz unterschiedlich. Also manche Gruppen, ja, manche haben gesagt: "Aha.." Also von Al Qaida beispielsweise klang es so: "Wir sind sonst nicht immer eurer Meinung, aber in diesem Fall, ja.". Dann gibt es Gruppierungen, die gesagt haben: "Ja natürlich, wir stehen hinter euch." Aber natürlich, vom IS beispielsweise, da wird das eher weniger direkt genannt, weil die Hamas ja letztendlich auch als ein Untertan und Handlanger des Iran sehen. Und wir sehen schon ganz, ganz stark von Hayat Tahrir Al-Sham [HTS] in Syrien zu den Huthis, zu Hisbollah, zu Al Qaida in der arabischen Halbinsel. Da wird der Konflikt, die Anschläge, Israel, das wird sehr stark auch aus der eigenen Perspektive interpretiert. Also Al Qaida und Al Shabaab beispielsweise sehen das ganz häufig, beschreiben die ganze Krise, als als einen Kampf gegen die Kreuzzügler, was auch Sinn macht, so aus Al Shabaabs Sicht, dass es eben der, der der christliche Feind, den sie vor Ort haben. HTS in Syrien zieht Parallelen zwischen der Bombardierung Gazas durch Israel mit der Bombardierung Syriens durch die die russische bzw. ja auch der syrische Regime Luftwaffe. Und die beziehen natürlich ganz eindeutig Position gegen den Iran, gegen Hisbollah, gegen die Huthis und sagen: "Ihr tut jetzt so, als ob ihr groß hinter Palästina steht, aber wo wart ihr als wir bombardiert wurden? Bzw. Wo wart ihr? Ihr wat ja teilweise auch noch involviert!" Auf der anderen Seite, also da, sobald man so ein kleines bisschen unter der Oberfläche bohrt, treten diese Konfliktlinien und Meinungsunterschiede und im Widerspruch stehenden, politischen Allianzen sehr schnell hervor.

Alexandra Korn (KN: IX): Ja, vielen Dank, Jakob, für diese ganzen spannenden Einblicke. Dann bleibt mir an dieser Stelle nur noch zu fragen: Gibt es etwas, was du uns noch mit auf den Weg geben möchtest? Welche ISD Publikationen müssen wir uns unbedingt durchlesen?

Jakob Guhl: Also ich kann natürlich sehr die Reihe Gen Z Salafismus empfehlen, aber daneben gibt es auch immer wieder kürzere Berichte. Also es sind bei uns gar nicht immer nur lange Forschungsreports, sondern wir veröffentlichen auch Erklärartikel, wo wir einfach ein bestimmtes Phänomen, das möglicherweise viel in den Medien steht, ein bisschen im Detail und im Hintergrund erklären. Das kann sehr hilfreich sein, um Überblick zu gewinnen. Dann haben wir auch noch einen Blog Digital dispatches, wo eben häufig sehr, sehr aktuelle Insides zu Entwicklungen, phänomenenübergreifend in Bezug auf Rechtsextremismus, islamistischen Extremismus, staatliche Akteure, die Misinformationen verbreiten. Da kann ich sehr empfehlen, auch auf diesem Blog Digital Dispatches häufiger mal einen Blick zu werfen.

Alexandra Korn (KN: IX): Vielen Dank, Jakob.

Charlotte Leikert (KN: IX Outro): Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismus-Prävention. KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Network, ufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft Religiös-begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx. Ihnen hat der Podcast gefallen? Dann abonnieren Sie uns und bewerten KN:IX talks auf der Plattform Ihres Vertrauens. Wenn Sie mehr zu KN:IX erfahren wollen, schauen Sie doch auf unserer Webseite www.kn-ix.de vorbei. Und wenn Sie sich direkt bei uns melden wollen, dann können Sie das natürlich auch machen. Mit einer Email an info [at] kn-ix.de. Wir freuen uns über Ihre Anmerkungen und Gedanken. KN:IX wird durch das Bundesprogramm "Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission "Berlin gegen Gewalt" und im Rahmen des Landesprogramms "Hessen. Aktiv für Demokratie und gegen Extremismus." Die Inhalte der Podcast-Folgen stellen keine Meinungsäußerungen der Fördermittelgeber dar. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Folge trägt der entsprechende Träger des Kompetenznetzwerks Islamistischer Extremismus, die Verantwortung.

Charlotte Leikert (KN: (Abspann Musik)

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